Mittwoch, 28. August 2019

Der Wahnsinn!

Es ist ein guter Schlafplatz, keiner will etwas von mir. Es ist gut, dass ich mit dem Zeltaufbau nicht zu lange gewartet habe, es fängt nämlich bald an zu regnen. Nur ein Nieselregen, aber das dauerhaft. Ich schlafe tief und gut und bemerke nicht, wie der Regen aufhört. Am Morgen werde ich jedoch bereits um 6 Uhr geweckt, direkt neben mir wird die Kuhherde auf die Weide getrieben. Circa 50 Kühe, und jede hat eine große Glocke um den Hals - na wenn man davon nicht wach wird...
Mein neuer Schlafsack hält leider in keinster Weise, was er verspricht. Die Kälte zieht hinein und dabei haben wir noch lange keine frostigen Temperaturen!

Zurück nach Martigny. Wir  schaffen es, durch Fußgängerzonen und Industriegebiet dem Hauptverkehr zu entkommen. Direkt im Anschluß umrahmen uns wieder herrlich rote Apfelplantagen - diesmal nehme ich 4 Äpfel mit, auch wenn ich dafür etwas in die Höhe hüpfen muss. Die kleine Nebenstarße verläuft zwischen einem Kanal und dem zugehörigen Altwasser, auf einem Damm. Das ist eine nette Abwechslung. Der Kanal ist aber nicht langweilig, so wie ich das kenne. Er führt sehr viel Wasser, das über noch mehr große Felsen fließen muss. Die Felsen sind nicht sichtbar, aber die Wellen, Wirbel und Rückströmungen des Wassers sehr wohl. Elegant vermeiden wir dichten Verkehr und Menschenmassen auf unseren Nebensträßchen und Wirtschaftswegen.

Und dann kommt's! Ein Nebensträßchen zweigt vom Nebensträßchen ab. Ein verwunschenes Wegchen im schroffen Tal und dunklen Wald. Hier wird oder wurde irgendein Erz abgebaut, einige Einrichtungen sind noch vorhanden. Ein Wildbach gischtet schäumend mit milchig-trübem blaugrauem Wasser in die Tiefe. Er hat sich tief in die Felsen gefressen, sie unterhöhlt. Manche Baumwurzel hängt nun in der Luft und hat Moos angesetzt. Das ist der absolute Wahnsinn!!! Aber nicht genug - als sich der Wald öffnet sollen wir abbiegen. Wow! Das sieht aber steil aus - 24% sagt das Schild! Lisl - bist Du bereit? Also, gib alles! Im ersten Gang zieht meine treue Lisl sorgsam den steilen Berg hoch. Das Straßchen führt wieder in den Wald, steil und ungesichert bricht es neben dem Asphalt ab - etwas mulmig wird mir schon. Hier ist Gegenverkehr keine gute Idee! Ein einziges Mal laufen wir auf ein Auto auf, das uns aber sofort an der nächsten Ausweichstelle vorbei läßt. Oben angekommen, landen wir direkt auf Bahnschienen, 20 m weiter ist der Bahnhof, von dem eine junge Frau auf uns zukommt. Der Zug ist schon weg. Aber das war anscheinend immer noch nicht alles - widerum steigt der Weg sehr steil an, bis er endlich eben wird un hoch über dem Tal am Hang entlang führt. Dieses Erlebnis ist wohl nicht mehr zu toppen!

Wieder auf einer "normalen" Straße, beginnt in der nächsten Ortschaft die Eisenbahn. Die Schienen sind in den Asphalt eingelassen, wie bei einer Straßenbahn. Aber auch außerhalb des Ortes verläuft die Bahn auf der Straße und folgt jeder ihrer Kurven. Immerhin ist der Schienenbereich mit einer weißen Linie optisch von der Autostraße getrennt. Lustig.

Am Col de la Croix ist kaum etwas los - ein großer leerer Parkplatz, eine öffentliche Toilette und ein kleines Cafe oder Restaurant. Lust auf eine Suppe hätte ich - die steht auch auf der Tafel. Ein freundlicher älterer Mann bedient mich, stellt sich aber ziemlich linkisch an. Ich vermute, er macht das nur als Aushilfe vielleicht für seine Tochter? Die Küche ist geschlossen - ich kann aber ein Sandwich bekommmen? Vorschnell sage ich zu. Es schmeckt nicht schlecht, aber 2 dicke Scheiben Weißbrot mit Mayonaise, 1 dünne Scheibe Kochschinken und etwas Essiggurke für 6 € ist nicht so mein Ding. Satt macht es auch nicht wirklich.

Abseits von den Skiorten, um die herum Flutlichter und Schneekanonen die Landschaft verschandeln, scheint es auch noch recht ursprüngliche Dörfer zu geben. Gryon zum Beispiel. Ein niedliches kleines Dörfchen, eng, alte Holzhäuschen mit niedlichen Fensterläden und in manchem Gärtchen eine Blumenpracht, deren gemischte Düfte mir zu Kopf steigen. Ja, auch hier gibt es einen Andenkenladen, aber ich kann keine Touristen sichten. 2 alte Weiblein unterhalten sich und ein gesichtsalter Mann verpestet rauchenderweise die Luft im einzigen Straßencafe.  Eine herrliche "Abkürzung" schlägt Balduin da vor.
Ein sehr schmales Wirtschaftswegchen mitten durch die Almen. Kurz unterhalb des Jaunpasses trifft es wieder auf die Hauptstraße. Die restlichen Meter bis zum Pass nehmen wir noch unter die Räder - ein kleiner Abstecher. Der Tourismus hält sich hier in Grenzen, es gibt einen kleinen Käseladen, wo ich nun endlich einen Schweizer Käse kaufe. Der Mann ist sehr freundlich, daher darf er mir auch noch ein Vanilleeis mit heißen Himbeeren kredenzen. Während ich da so in der Sonne sitze, kommen zwei betagtere Biker herüber, betrachten die Lisl und wir reden ein wenig. Ja, die Lisl ist genügsam, aber ab und zu muss man schon was machen. "Ölwechsel, Reifen und Kette wechseln?" fragt einer? Ha ha ha...wir haben Kardan. Von Bern sind sie. Und manchmal machen sie am Werktagnachmittag einen kleinen Ausflug. Gute Fahrt allerseits! Auf dem Rückweg entdecke ich an der Einmündung "meines" Nebensträßchens ein Sperrschild. Auf meiner Seite am Einstieg war keines...! Irgendwie bin ich ausgelaugt - es fährt sich "automatisch".

Schechtes Timing. Vom Jaunpass Richtung Tal finden fahren wir ein Stück "Hauptstraße", die aber heute kaum befahren ist. Eine nette Passstraße. Es ist mitten am Nachmittag und gefühlt kommen wir genau zur Abendzeit in dicht besiedeltes Gebiet. Ich bin sehr gespannt, wo wir heute nächtigen werden. Aber noch genießen wir die Almen, steilen Wiesenhänge mit ein paar vereinzelten Bäumen. Immer wieder mal ein Gehöft, eine kleine Ortschaft oder eine Scheune. Käse und Milch sind gesund, steht auf dem Verpackungspapier, in dem der Käse eingewickelt ist, den ich am Jaunpass gekauft habe. Und so duftet es auch immer wieder - nach gesunden Kühen.

Balduin. Ich gebe ihm mühsam mit einzelnen Wegpunkte die Route ein, die der Kurvennavigator vorschlägt. Die ganze Route könnte ich zwar überspielen, aber damit ist Balduin überfordert. Mehrfach steigt er aus und stellt sich wieder mal tot. Aber wenn er mal läuft, dann macht er seine Sache gut.

Ob man das Alter der Radler wohl an den Waden erkennen kann? Anscheinend nicht, denn manch junge Wade gehört zu einem alten Gesicht und krampfadrige Beine tragen ein junges Gesicht. Ach, da fällt mir wieder ein - dieser Tage habe ich auf den Pässen sogar einen Tretrollerfahrer gesehen! Was es nicht alles gibt. Da muss ich sofort an meine Mutter denken, die - wenn ich mich recht erinnere - als kleines Kind mit dem Tretroller mit Anhänger nach Amerika auswandern wollte. Die verrückte Reiseleidenschaft hat in unserer Familie eben schon Ttradition.

Langsam bekomme ich Hunger. Das Sandwich heute mittag war nicht sehr ergiebig und Eis mit heißen Himbeeren schmeckt zwar super gut, macht aber nicht satt. Eine Bäckerei wäre jetzt toll, sehr selten habe ich bisher eine gesehen. Kaum ist der Wunsch an's Universum ausgesprochen, schon schallt es zurück: "Beck"! Tatsächlich! Eine kleine Bäckerei hält Käse-Specksemmeln und etwas Süßes für uns bereit. So, jetzt braucht die Lisl noch was gegen den Durst und dann müssen wir nach einem Schlafplatz Ausschau halten.
Wie befürchtet erreichen wir den Thuner See kurz nach 16 Uhr. Bis zum Seeufer kommt man nicht, dort verläuft direkt die Eisenbahn. Daneben die dicke Hauptstraße, auf der man einfach nur vorbeirasen kann. Zumindest tun das alle. Bei der ersten Möglichkeit zweige ich ab, der Spaß ist aber nur von kurzer Dauer. Kurz vor wir wieder auf die Hauptstraße einbiegen müssen begegnet uns der Alm-Öhi mit seinem Packesel. Leider ist meine Reaktion zu langsam und ich fotografiere ihn nicht - der war wirklich ein Bild für Götter!

Interlaken - das klingt irgendwie wie Interstate oder Internet oder International. Auf jeden Fall groß und schnell. Nichts für uns. Und natürlich keine Schlafplätze - zumindest nicht für uns. Für reiche Leute schon - jede Menge mehr oder weniger edle Hotels, Fiaker und vornehme Parks. Schnell weg hier. Dem Bielzer See können wir auf der Nordseite folgen, in der Hoffnung, dass hier die Straße gemütlicher ist. Na ja, sie ist genauso breit, aber zum Glück etwas weniger befahren. Und sie führt direkt am Ufer entlang. Die Eisenbahn folgt uns auf der anderen Seite. Ab und zu taucht ein kleiner Parkplatz auf. Ob das was für uns wäre? So dirket an der Straße...? Es ist schon halb 6 Uhr und ich mag nicht mehr. Vor uns liegen noch einige zivilisierte Ecken und das Wasser des Sees sieht schon verlockend aus.

Was soll's, jetzt sitze ich am Bielzer Seeufer auf einem Bänkchen, schaue den Enten und Motorbooten vor mir zu und ignoriere alles, was hinter mir auf der Straße geschieht. Der Ausblich erinnert mich etwas na meinen Fjord in Norwegen. Einmal bin ich hinunter geklettert zum Wasser und habe einen Eimer mit Wasser geholt - zum spülen und waschen. Ich genieße mein Abendessen und richte mich für eine neue Nacht auf der Parkbank ein. Hinter mir kämpfen 2 Schafböcke darum, wer den Weg freimachen muss, ihre Hörner krachen ordentlich aufeinander.
20 nach acht: Donnergrollen und dunkle Wolken nähern sich von Interlaken: Ist vielleicht doch nicht so eine gute Idee, ohne Zelt? Jetzt aber schnell! In rekordverdächtigen 15 min steht es und ist fertig eingeräumt. Die ersten Blitze zucken.

Martingny - Interlaken

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