Dienstag, 27. August 2019

Die Luft ist raus

Zugegeben, die Bank ist schon sehr schmal. Und auch nicht sehr lang. Ich muss beim umdrehen enorm aufpassen, nicht abzustürzen.  Ich glaube, ich gäbe einen ganz guten Landstreicher ab.Trotzdem habe ich gut gelegen und kurz und gut geschlafen. An der Kürze ist aber nicht die Bank schuld, sondern meine Gedanken, die wieder Karussell fahren wollten. Diesmal ging es um das Leben, Glück und Trauer. Und ich hatte einen spannenden Gedanken, wie ich einer Freundin helfen könnte - mal schauen, ob ich den in die Tat umsetzen kann.
Der Himmel über mir war sternklar und kein Mondlicht hat die Sterne verblassen lassen. In der Ferne feuerten Blitze ein besorgniserregendes Wetterleuchten, aber zum Glück ist es fern geblieben. Nun ist es leicht bewölkt, kann also sein, dass der Wetterbericht mit dem Ende der Schönwetterperiode recht behält.
Natürlich hat das Haus heute Nacht mit mir gesprochen, es ist ein Holzhaus. Ich vermute allerdings, dass auch irgendwelche Tiere darin wohnen. Auf jeden Fall war ich aufmerksam und hellhörig.

Obwohl ich schon um 8 Uhr mit leichten Kopfschmerzen aufstehe, habe ich mich wohl inzwischen so an die Trödelei gewöhnt, dass es bei Abfahrt bereits wieder halb 11 Uhr ist. Macht nichts. Nur aus einer Laune heraus nehmen wir uns noch den Col de la Joux Verte vor, er liegt überhaupt nicht auf unserer Strecke. Aber es lohnt sich! Scheint ein Paradies für Mountainbiker zu sein - ganz viele davon, mit Knie- und Ellenbogenschützern und Integralhelmen turnen hier rum. Der jüngste dürfte ca. 4 Jahre alt sein, der seiner Mami ins Tal hinunter folgt. Um wieder in die richtige Spur zu kommen, müssen wir ein ganzes Stück zurück fahren. Balduin hat sich meine gestrige Drohung sehr zu Herzen genommen und führt mich fast nur schöne Sträßchen, obwohl ich dachte, hier gibt es nur Hauptstraßen. Allerdings schlägt er manchmal horrende Umwege vor, die ich ihm dann aber abgewöhne.
Er findet sogar zu der Rennstrecke, die wir nun schon 2 mal gefahren sind, eine wunderschöne Alternative. Und dazu dann auch noch eine Abkürzung, die beweist, dass man gar nicht so viele Kurven und Kehren bräuchte - es wird halt dann sehr steil. Gefällt aber der Lisl und mir! Wir fahren also nicht den selben Weg zurück, wie ich befürchtet hatte. Wir müssen nochmal etwas nach Süden halten, sonst sind wir bald aus den Bergen raus. Und ich will ja weiterhin Kurven fahren üben.
An einer Ausweichstelle unter Felsüberhängen gibt es die Mittagsrast. Ruhe. Niemand kommt vorbei. Dann möchte ich die Straße mit den Überhängen fotografieren und plötzlich reißt die Autoschlange überhaupt nicht mehr ab - von beiden Seiten! So was. Einen tollen Ausblick hat man hier - die Straße ist direkt unter uns zwischen den Bäumen erkennbar. Kurz nach dem Aufbruch fällt mir ein, dass ich ein Handtuch und die Wasserflasche nicht verstaut habe. Die lagen seitlich auf der Packtasche - sicher sind sie irgenwo verloren gegangen. Bei der nächsten Möglichkeit halte ich an und schaue nach hinten, dabei gerät die Lisl ins Wanken. Nein, Lisl, nicht umfallen! Rechtes Bein, linkes Bein, Lenker festhalten...gerade nochmal gut gegangen. Und die Flasche mit Handtuch liegen immer noch auf der Tasche! Das ist mir in Russland auch schon mal passiert.

Kurz vor dem Mont Blanc gibt es noch eine hübsche Passstraße. Oben auf dem Sattel ein Ententeich, später ein netter blauer Bergsee, auf dem intensiv gepaddelt (insbesondere stand-up-paddeln) wird. Irgendwann passieren wir eines dieser unsäglichen Touristen-Nester auf der Höhe - hier wimmelt es von Ziegen! Vier- und zweibeinigen. Kreuz und quer bevölkern sie die Straße, alle Andenkengeschäfte, lassen sich von den Kindern streicheln und scheißen alles zu. Es stinkt fürchterlich, scheint aber die Touris gar nicht abzuschrecken. Das Verkehrschaos pur. Zum Glück ist das bald vorbei und wir sind wieder ziemlich alleine mit den Kurven.
Das Mont Blanc Massiv passieren wir via Chamonix. Da sieht man wenigstens etwas, ansonsten müssten wir ja im Tunnel fahren. Der "große Gletscherblick" zeigt uns zwei kleine Gletscherzungen. Ja, sowas finde ich immer spannend, aber ich habe da (leider) ganz andere Vergleiche. Bin also enttäuscht. Ansonsten schleichen wir Kilometerlang zwischen Häusern und Urlaubern entlang, bis wir wieder freie Fahrt haben.


Der schweizer Grenzer hält mich kurz an, aber nur um auf die Nummerntafel zu schauen und meine Nationalität festzustellen. Dann ist er schon zufrieden. Auch hier in der Schweiz findet Balduin wieder in's Darknet. Von Martigny sehen wir nur das Ortsschild, dann zeigt Balduin einen Wirtschaftsweg durch die Weinberge an. Zur Abwechslung wird dieser dann wieder von einer guten, breiten kurvigen Passstraße abgelöst, das ist ein Schwingen! Übung macht den Meister (der Kehren). Meiste bin ich sicherlich noch nicht, aber meine Kehren werden immer flüssiger. Irgendwann trotzt dann Balduin wieder - er mag gar keine Route mehr berechnen, zeigt nur noch Meer an. Mehrfach muss ich ihn zur Raison rufen, aus- und wieder einschalten, bis er sich beruhigt hat. Doch altes Eisen???

Schon kurz nach 16 Uhr ist heute Feierabend. die Luft ist raus, ich bin müde. Die Euphorie über die unendlichen Kurven ist einer dauerhaften, entspannten Freude am Schwingen gewichen. Ich sitze am Col des Planches auf ca. 1400 m. Hier habe ich einen kleinen Rastplatz gefunden mit Sitzgarnituren, einem plätschernden Brunnen und einem Stück ebener Wiese. Gegenüber und oberhalb stehen einzelne Häuser, aber bislang schert sich keiner um mich. Ich muss noch überlegen, wie ich die Nacht verbringen will. Ein Hahn kräht, bisschen spät, oder? Bei der abendlichen Routenplanung stelle ich fest, dass wir doch wieder nach Martigny zurück müssen, aber Balduin wird uns hindurchweisen.

PS: gestern auf dem Roselend hab ich vor Freude gepfiffen! Gar nicht so einfach bei dem Fahrtwind. Man muss ordentlich Druck aufbauen und die Lippen werden schnell trocken. War aber lustig!


Col de la Jux Vertes - am Mont Blanc vorbei - Col des Monets - Vallorcine - Col de la Forclaz (ein anderer) - Col des Planches

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