Freitag, 30. August 2019

Nicht ganz bei der Sache

Ich bin heute nicht ganz bei der Sache. Zum einen habe ich mitbekommen, dass ein Bekannter hier ganz in der Nähe auch mit dem Motorrad unterwegs ist - vielleicht begegent man sich ja zufällig? Und zum anderen sind meine Gedanken immer noch bei einer Hilfsaktion für meine Freundin. Der erste Versuch ist gründlich misslungen! So spulen wir die Kehren hintunter vom Splügen eher gedankenlos ab und ich checke auch viel zu spät, dass das, was da in einem Betonstein des Lawinenschutztunnels sitzt, ein dickes fettes Murmeltier ist. Es läßt sich die Morgensonne auf den Pelz scheinen.
Der Malojapass ist nicht so hoch, bis auf 1800 m steigt er an. Wir fahren Richtung St.Moritz und bewegen uns eigentlich den ganzen Tag zwischen 1600 und 2000 m auf der Höhe. Den Julier lassen wir links liegen, den Abstecher schenken wir uns. Auch hier scheinen wieder Hubschrauber im Einsatz zu sein, was genau sie tun, kann ich aber nicht erkennen. Eine ganze Zeitlang fahren wir zwischen fetten grünen Kuh- und Pferdeweiden hindurch.
Glasklare, blaue Bergseen jeder Größe liegen am Weg, oft verbunden mit einem sprudelnden klaren Bach. Die großen Seen werden auch zur surfen oder anderem Wassersport genutzt - warum auch nicht? Beim Surf-Center gibt es sehr saubere Einrichtungen, für die Surfer, keiner hält mich jedoch davon ab, diese auch zu nutzen. Der Verkehr rollt wie auf deutschen Bundesstraßen dahin, wir haben relativ viel freie Fahrt. Eigentlich ist es ganz schön hier, aber es berührt mich heute nicht so richtig - es "macht" nichts mit mir.
Den Bernina auf 2330 m erreichen wir ganz unspektakulär, neben der Straße krabbelt eine oberleitungsgespeiste Eisenbahn den Pass hinauf. Luft und Temperatur sind ebenfalls einfach nur angenehm.

Nächster ist der Livigno. Bereits beim Einstieg gibt es ein paar sehr interessante Felszinnen, sie sind absolut kahl und ausgewaschen. Sieht sehr ungewöhnlich aus. Oben am Pass mache ich Mittagspause - Brot, Tomaten und Käse der letzten Tage müssen so langsam vernichtet werden. Als ich fertig bin, hält ein Päärchen aus Bochum an und es wird wieder ein paar Minuten Benzin geredet. Unten im Ort ist das Gedränge wieder etwas dichter. Ein Kleinlaster ignoriert mich einfach und schießt aus einer Tankstelleneifahrt heraus. Wir müssen eine Vollbremsung hinlegen - zum Glück ist noch ein kleiner Restbelag auf der Vorderradbremse. Der Lisl bleibt vor Schreck der Motor stehen, was der LKW-Fahrer aber nicht tut. Fröhlich zieht er einfach - trotz Hupens - von dannen. Grrr...
An den Livigno-See erinnere ich mich, da habe ich vor Jahren mal mit einem Bekannten gezeltet. Lange führt die Straße unter einem Lawinenschutzdach direkt am See entlang, dann kommt eine Mautstation, das hatte ich nicht (mehr) auf dem Schirm. 12 € kostet uns der folgende Tunnel.
Ich weiß gar nicht mehr, sind wir gerade in Italien oder in der Schweiz? So oft, wie wir heute die Grenze passieren, kann man ganz schnell den Überblick verlieren. Manchmal ist die Grenze eindeutig, vielleicht sogar besetzt, manchmal kann man sie kaum erkennen und es sind auch weit und breit keine Grenzbeamten zu sehen.

Ofenpass nennt sich die nächste Anhöhe, auf der ich mir an einem kleinen Kiosk ein Stück Kuchen und einen Kakao gönne. Genieße die Sonne und das Faulsein. Auf jeder Toilette ist es eine Herausforderung, herauszufinden, wie der Wasserhahn funktioniert: unsichtbare Sensoren, irgendwo in der Wand versteckte Knöpfe oder sogar unter dem Waschbecken versteckte Hebel. Immer wieder erntet die Lisl interessierte Blicke und als ich mich zur nächsten Etappe aufmache, sprechen mich 2 Italiener anerkennend an. Wie alt, wieviel Kilometer? Da werden sie ganz neidisch, auch wenn eine ihrer Maschinen auch schon 20 Jahre alt ist. Sie hat aber nur ca. 10.000 km auf dem Tacho.

Halb vier Uhr. Umbrailpass und Stilfser Joch liegen jetzt vor uns. Die nehmen wir noch mit, dann ist Feierabendzeit. Das Sträßchen zum Umbrail ist nett, klein, einspurig und kaum Verkehr. Nete Kürvchen und eine Quelle für unseren Wassernachschub.

Das Stilfser Joch (2752 m) ist die Königsdisziplin. Kehren ohne Ende führen hinauf und auch wieder hinunter. Oben herrscht ein schrecklicher Rummel, jede Menge Bratwurstbuden, ja an die erinnere ich mich. Hier bleiben wir nicht lange. 2 junge Burschen auf dem Rad fetzen vor mir den Hang hinunter, einer klebt mir am Hinterrad. In den Kehren machen sie immer Boden gut, aber auch auf den längeren Stücken dazwischen haben sie ordentlich Dampf drauf. Als wir auf einen Omnibus und dahinter noch ein Auto auflaufen, hängen sie mich endgültig ab. Nebenbei flitzt mal wieder ein Murmeltier über den Weg. Ganz unten im Tal hole ich sie gerade noch ein, als sie sich voneinander verabschieden. Ich suche mir ein Plätzchen am Marktplatz, um die weitere Planung zu checken und treffen einen Radler mit einem alten E-bike. Wir plauschen ein wenig. Er schlaut mich auf, dass erstens ab morgen das Wetter schlecht wird und zweitens morgen Stilfser joch und Umbrail gesperrt sind wegen "Radlertag". Aber das haben die hier doch jeden Tag? Na auf jeden Fall - Glück gehabt.

Müde uns ausgelaugt sitze ich nun im Zelt, durch das das Windchen gerne noch blasen darf. Wir haben eine gemähte Wiese gefunden, die zwar fast direkt neben der Hauptstraße liegt (das konstante Rauschen dringt herüber), die aber von dort nicht einsehbar ist. Es gibt auch keine Häuser direkt nebenan, nur Obstplantagen. Gefunden haben Balduin, Lisl und ich das Plätzchen auf einem "Anlügerweg" - aber wenn man hier wohnt (auch nur eine Nacht), dann ist man ja schließlich Anlieger. Gelegentlich rollt ein Fahrradfahrer vorbei. Irgendwie ist die Luft raus und die Lust vorbei. Wir nähern uns langsam Deutschland, das Wetter soll angeblich schlechter werden, zur Not können wir ja in 1-2 Tagen daheim sein.

Maloja - Bernina - Livigno - Ofenpass - Umbrail - Stilfser Joch

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