Freitag, 23. August 2019

entspannter 3/4-Takt

Das Gewitter ist an uns vorbeigezogen und es ist trocken geblieben. Ein leichter Dauerwind hat wohl dafür gesorgt. Der hat aber auch die ganze Nacht die Zeltplane flattern und knattern lassen. Dennoch habe ich einige Stunden tief und fest geschlafen, bis mich das Gedankenkarussell wieder erwischt hat:
Es ereignen derzeit so viele unterschiedliche Schicksale in meinem Umfeld, über jedes einzelne muss ich nachdenken und Anteil nehmen. Jedes davon gliedere ich in mein neues Weltbild ein, bis ich schließlich am gesamten Weltbild weiterbauen muss.
Wir Menschen betrachten uns als Krönung der Schöpfung. So viele schlaue Menschen, die versuchen, diese Schöpfung zu verstehen und zu erklären, befassen sich mit der Materie und dem, woraus sie besteht im Mikrokosmos. Sie suchen nach Gesetzmäßigkeiten und Regeln, entdecken Gene, Molküle, Atome. Zerlegen, erfinden Maschinen, um noch tiefer forschen zu können, entdecken Protonen, Neutronen und Elektronen. Stellen fest, dass Materie eigentlich auch Nichts besteht. Entdecken Schwingungen und Schwingungsbahnen und sind mittlerweile bei Quarks angekommen. Ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht? Ich bin überzeugt, die Forschung wird auch hier weitergehen und noch kleinere Dinge entdecken - das ist eine unendliche Geschichte. Ähnliches unternehmen Forscher auch im Makrokosmos. Die untersuchen das Sonnensystem, Galaxien, entdecken schwarze Löcher und durchstreifen das Universum. Auch hier suchen sie nach Regeln und Strukturen. Äußerst interessant, dass sich die Ergebnisse ähneln.
Jetzt stecken wir mal die beiden Sichte zusammen, den Blick nach außen und den Blick nach innen, dann stellen wir fest, dass die Menschen nur eine einzige Stufe im Gesamtkontext des Seins sind.  Wie sieht aber unsere Rolle in dem Spiel aus? Welchen Regeln und Gesetzmäßigkeiten sind wir unterworfen? Welchen Zweck erfüllen wir, welchen Freiheitsgrad haben wir tatsächlich und warum tun wir das, was wir tun? Wie unbedeutend sind dann die unterschiedlichen Einzel-Schicksale!

Nachts wurde es sternklar und gegen Morgen hat der Mond ein interessantes Licht auf die senkrecht aufragenden Felswände geworfen.
Die 8 km zurück in's Tal gefallen mir wieder, unten habe ich dann wieder Netzempfang und kann den Blog auf die Reise schicken. Jetzt kann ich mich auf die Pässe konzentrieren. Alles bekannt Namen, daher werde ich mich mehr auf Zivilisation und Verkehr einstellen müssen. Schon bald geht es wieder nach oben - Isola 2000. Das ist ein künstlich angelegtes Ski-Dorf, eine hässliche Bettenburg auf 2000 m Höhe. Davon werde ich ganz bestimmt kein Foto machen! Ganz hinauf auf den Col de la Lombarde, wo es ordentlich kalt ist, ein kalter Wind pfeift und graue Wolken über uns hängen. Und - wir sind in Italien...uuups. Nur langsam wird es talwärts etwas wärmer. Wir schwingen fröhlich durch die Kurven, bis ich im Rückspiegel etwas entdecke. Es ist eine dieser Radler-Ameisen, die mir am Hinterreifen klebt! Er strüzt sich todesmutig mit über 50 km/h den Berg hinunter. Auf den Geraden kann ich ein paar Meter gut machen, in den Serpentinen hängt er sich wieder an mein Hinterrad.

Es ist wieder wärmer geworden und die nächste Entscheidung steht an - wo soll's weitergehen? Richtung Osten ist mir noch zu früh, ich wollte doch nochmal Richtung Grenoble? Da gibt es meines Wissen auch ein paar schöne Pässe zum herumturnen, die ich beim letzten Besuch wegen Neuschnee nicht fahren konnte. Balduin spricht von Colle della Maddalena, das klingt doch ganz gut? Schauen wir mal, was uns da erwartet. Der Pass bietet liebliche, gleichmäßig begraste Hügel, eine elegante 3/4-Takt-kurvige Straße führt uns über den Pass wieder zurück nach Frankreich. Aber es gibt auch teuflische Fallen: aus manacher Kehre tauchen wir gar nicht mehr auf sondern stecken schon mitten in der nächsten. Wow! Die Lisl und ich rollen ansonsten gemütlich dahin, wir müssen nicht (mehr) heizen, wir sind zwei alte ladies. Mein Kopf ist leer, es hat sich "ausgedacht". Ich bin nur hier, auf der Straße und lasse mich chauffieren.
Eine Brücke führt über den Ubaye...den kennen wir doch? Es ist Mittagszeit und wir finden ein schönes Plätzchen mit einem riesigen flachen Stein oberhalb des Flusses, der schäumend über die Felsen donnert. Gegenüber erhebt sich eine senkrechte Felswand. Wunderschön kann man die Strukturen und Schichten im Gestein erkennen. Bis weit hinauf gibt es gleichmäßige waagrechte Schichten, aber darüber scheint sich früher mal ein zäher Gesteinsstrom geschoben zu haben; aus den Wellen und senkrechten Schichten kann man direkt die Erdbewegung erahnen.
Die Route des grandes Alpes führt uns nach Briancon. Es ist traumhaft gemütlich und entspannt zu fahren - nur das allerschönstge Stückchen wird uns leider durch ein paar blecherene Verkehrshindernisse vergällt. Die Streckenführung läßt höhere Geschwindigkeiten zu, daher werden wir heute vermutlich ein größeres Stück schaffen. Am Col de Vars bemerke ich zum ersten mal Fotografen. Die gibt es anscheinend an den anderen großen Pässen genauso. Sie fotografieren die Motorradfahrer in den Kurven und wollen die Bilder dann vermutlich verkaufen. Auf jeden Fall: bitte recht freundlich! Ansonsten sind die Passstraßen hier komplett bemalt mit Parolen und Hinweisen an die Radfahrer.


In Briancon, wieder mal nicht meinem Lieblingsort, stellen wir was an! Balduin vermeidet brav alle Hauptstraßen und führt mich in die kleinen Gassen der Innenstadt. Dann geht es hinauf Richtung Burg. An einem Torbogen mit Brücke müssen wir an einer Ampel warten. Daneben steht ein großes vollgeschriebenes Hinweisschild mit allen möglichen Verboten. Motorräder kann ich da nicht finden, also fahren wir hinein. In immer engeren und steileren Serpentinen geht es hinauf, manchmal so eng, dass ich sogar zurückstoßen muss. zu guter Letzt landen wir im Schlosshof! Da ist wohl was falsch gelaufen. Also zurück - eine Abzweigung ist mit einer Halbschranke abgesperrt. "Geht es da weiter?" deute ich einem gegenüber sitzenden Mann. "Ja sicher" heißt der Daumen hoch. Ob das ok war? Wir scheinen mitten durch die Burg und Torbögen zu fahren. Mir ist mulmig, aber bald sieht es wieder besser aus. Ja, es gibt Straßenschilder, aber die Leute schauen mich an, als ob ich hier falsch am Platz wäre. Dann queren wir einen großen Parkplatz und kommen wieder auf die Hauptstraße. Fast. Denn uns trennt eine Schranke - hier sollten Parkplatzgebühren bezahlt werden. Dummerweise ist die Schranke nicht, wie oft in Deutschland, kurz genug um sich daran vorbeizudrücken. Und jetzt? Über einen hohen Bordstein, einen kleinen Sitzplatz und drüber wieder auf die Straße - fertig. Schnell weg.

Col du Galibier (2648 m). Nochmal ein schönes Kurvenschmankerl. Allerdings eben ein bekannter und viel befahreren Pass. Unterwegs fallen einige dicke schmerzhafte Regentropfen, ich versuche, sie zu ignorieren. Oben häufen sich die Motorräder, auch ein paar Deutsche sind dabei, die mich ansprechen. Kleiner small-Benzin-talk. Dann kurz überlegen, wohin ich weiter will; zum Glück ist die Auswahl hier oben nicht so umfangreich - ein Weg rauf, ein Weg runter. Klamme 14 Grad herrschen oben, also ist auf jeden Fall Abstieg angesagt. Auch wenn es ein paar nette Zeltecken gäbe und die Zeit auch schon fast reif ist. Bis in's Tal (wie gestern) will ich aber nicht wieder warten. Einen schönen Schotterweg entlang eines Flusses kann ich von oben erspähen. Da gibt's sicher ein Zeltplätzchen? Stimmt - aber das denken sich auch eine Unmenge anderer Franzosen mit Kleinbussen, Kombis, Zelten, Hunden und Kindern. Es gibt eine Wiese, bevor der Weg gesperrt ist, und die ist bereits übervölkert. Gerade will sich hier eine Familie richtig ausbreiten, da schneide ich mir schnell noch ein Plätzchen für mein Zelt ab. Oh je, so hab ich mir das nicht vorgestellt! Na ja, für eine Nacht werde ich es aushalten (müssen). Wird schwierig mit dem Toilettengang... Jetzt zwängt sich auch noch ein kleiner Kombi direkt hinter mich und baut sogar einen Generator auf! Sein asthmatischer Boxer kreist eng um mein Zelt und hechelt mir unentwegt die Ohren voll. Fehlt nur noch laute Musik! Keine Angst - kommt auch noch! Der Freiraum um unser kleines Zelt wird immer enger, Hunde und Kinder stolpern schon darüber - grausam! Wohin bin ich da geraten?

Col de la Lombarde - Col de Vars - Route des Grandes Alpes - Col du Galibier

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