Samstag, 24. August 2019

Chalet

Vom Schlafengehen bis zum Aufwachen sträubt sich alles in mir gegen diese Enge.
Als Krönung kläfft mich am frühen morgen der Nachbarshund an, als ob ich in SEIN Reich eingedrungen wäre! Nur fort von diesem Ort! Kurz nach 8 Uhr bin ich startklar - das morgendliche Wellnessprogramm inklusive Frühstück ist komplett entfallen. Das gönne ich mir dafür luxuriös im nächsten (Touristen-)Ort, wo ich dann auch Netz zum upload für den Blog habe: Orangensaft, Kakao und 2 Croissants! Auf dem Weg bis hierher gab es noch viele schöne Plätzchen, aber alle gleichermaßen zugeparkt - oh je.
Das Frühstück als gute Grundlage war dringend nötig, für das was mich nun erwaret. Der Ort ist heute im Ausnahmezustand, sieht so aus, als ob hier vielleicht ein Radrennen stattfindet? Alle Parkplätze zugestopft, die Straßen mit Buden und Ausstellungsstücken verstellt, Menschenmassen allenthalben und die Umleitungen führen durch die kleinsten Gässchen, in denen die dicken Wohnmobile stecken bleiben. Eingereiht in die Blechkolonne zockeln wir den Berg hinunter, gezwungenermaßen den bescheuerten Fahrstil des Vordermanns übernehmend und darauf hoffend, dass der Hintermann uns nicht auf die Hörner nimmt.
Endlich unten im Tal angekommen, tut sich glücklicherweise eine Alternative auf: ein süßes kleines Bergsträßchen, das oberhalb der Hauptstraße durch Wälder und Wiesen führt. Vielleicht hüpft beim dem Gehoppel auch die eine oder andere Fettzelle davon? Hoffen darf man ja... Höhenmeter für Höenmeter steigt auch meine Laune wieder. Dazu tragen auch die tanzenden Schmetterlinge und die schnell von der Straße huschenden Eidechsen bei.
Als das Sträßchen zu Ende ist, müssen wir einen Transfer auf der Hauptstraße in Kauf nehmen - der dauert zum Glück nur 4 km. Die eine oder andere Sackgasse schulden wir der schlechten Kommunikation meiner beiden Navigationssysteme - Balduin und Kurviger. Stört mich aber gar nicht, ich habe Zeit und genieße.

In der Mittagshitze erreichen wir Croix de Fer. Es ist eine schöne Straße, ja ein kleines Skidorf liegt am Weg und oben auf dem Pass sammeln sich ein paar Leute, aber alles im Rahmen. Balduin hat kapituliert. Er kennt sich hier überhaupt nicht mehr aus. Viele der Straßen, die Kurviger findet, gibt es in seinem Repertoire überhaupt nicht! Schade. Ich muss also meine Taktik ändern und das Handy zur Navigation benutzen. Mit Stromanschluss an die Lisl funktioniert das sogar ziemlich gut. Die Abfahrt vom Pass führt entlang eines sehr großen, tief-türkisfarenen Stausees, dessen Oberfläche leicht gekräuselt daliegt. Die Kühle des Wasser strahlt angenehm herauf  zur Straße. Ein Traum, gemütlich mit wenig Verkehr.





Erst um 15 Uhr ist Zeit für Mittagessen, in dem kleinen, sehr ruhigen Ort Villard-Reculas. Vor mir bewaldete Berge neben hellgrün begrasten Hängen und dazwischen schroffe, glatte, dunkelgraue Felswände. Steil geht es hinunter ins tiefe Tal, strahlendblauer Himmel überspannt die Szene, 2 Federwölcken tummeln sich dort. Auf die Parkbank wirft eine Kiefer ein wenig Schatten. In der rechten Hand ein frisches Gewürzbaguette, in der linken einen cremigen Camenbert, der schon von ganz alleine davon läuft und in der Trinkflasche frisches Quellwasser mit leichtem Limogeschmack. Was will man mehr???

Nächster Berg ist der Col de Ornon, 1350 m. Den Weg dahin führt mich Kurviger über befestigte Feldwege, die zuerst an einem kleinen klaren Bächlein entlangmäandern und dann den Damm eines breiten Bergbaches nutzen. Bei uns wären das ausschließlich Radwege, hier aber steht nirgends ein Sperrschild. Außerdem sind die Radler ja alle auf den Passstraßen unterwegs, so nehme ich ihnen nichts weg.

Am späten Nachmittag ist die Sonne noch heftig erstickend warm auf der Haut und unterm Anzug zu spüren. Bei den häufigen Wechseln in den schattigen Wald aber, spüre ich sofort die angenehme Kühle auf der Haut. Der Wald duftet herrlich nach Nadelbäumen. Noch etwas frischer wird es, sobald Wasser in der Nähe ist, auch wenn ich es nicht sehe. Ähnlich wechselhaft geht es mir emotional - meist angenehm entspannt kann ich die Fahrt mit der Lisl ganz toll genießen. Hin und wieder jedoch schweifen die Gedanken zu einem guten Freund, der gerade in einer sehr prekären Lage ist. Immer wieder sende ich kraftvolle Gedanken dorthin.

Kurz vor 18 Uhr. Zeit, nach einem Übernachtungsplatz Ausschau zu halten. Hier ist es schön - saftig grüne Auen voller Kühe und Pferde, einige Bauernhöfe, ein kleiner Skiort, gemütliche Bänkchen. Aber zum Zelten einen erlaubten und ruhigen Platz zu finden, wird nicht einfach. Da kommt mir das Sträßchen gerade recht, das in 9 km einen See ankündigt und die Straße als "offen" ausweist. Scheint also hinauf zu gehen. So ist es - schöne kleine Kurven und Serpentinen führen durch den dichten Wald. Viele Autos kommen entgegen - sich rechnen anscheinend nicht mehr mit entgegegnkommendem Verkehr - also muss ich besonders vorsichtig sein. Laut Navi sollte der See hier irgendwo sein, scheint aber so, als ob man da nur zu Fuß hinkommt. Das Sträßchen führt weiter zum angeblich nächsten See. Hier ist Ende - Parkplatz - Wanderstart. Hm, Pech gehabt. Also zurück zu den Weiden und doch dort schauen.

Dann tue ich was Verbotenes: ich schlafe an einem fremden Haus, einem Chalet. Nein, ich breche nicht ein, aber es sieht total unbewohnt aus und hat einen herrlichen Beton-Balkon hoch über dem Tal, auf den die Sonne scheint. Da möchte ich heute Nacht bleiben und das Zelt nicht aufbauen. Dennoch muss ich es erstmal auspacken, denn heute Morgen in der Eile, war es  noch nicht trocken. Ein junger Mann mit Rucksack kommt her und spricht mich an - will der mich verscheuchen? Nein, er fragt nach dem Weg zum See; ich kann ihm da leider nicht weiterhelfen. Auf dem Balkonboden sitzend schreibe ich, während an den Hängen die Kuhglocken läuten und im Tal fröhliche Rufe vom Boulespiel oder den Kindern erschallen, die im See baden. Das Haus steht direkt in einer Kehre des kleinen Sträßchens zum Bergsee (den ich nicht gesehen habe), daher kommen des öfteren Autos vorbei. Ich versuche einfach, mich nicht darum zu kümmern.

Soviele Cols, da kriegst'n Koller  (östlich von Grenoble)

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